WIE KANN ICH DAS ÜBEN OPTIMIEREN?
Ein beeindruckendes Workshop-Angebot des „Netzwerk Musikhochschulen“
„Hast du heute schon geübt?“ Diese Frage werden viele Musiker in ihrer Jugend immer wieder gehört haben, gefolgt von der genau so wenig zielführenden Anschlussfrage: „Wie lange?“ Diese Erfahrung prägte dann unsere Haltung zum Üben in der Ausbildung zum Berufsmusiker in einer Weise, bei der wir uns mehr auf die reine Übezeit vor einem Auftritt verließen als auf die bewusste Gestaltung des oft so einsamen Notenstudiums. Und der Glaubenssatz „Viel hilft viel“ verlor oft genug mit dem Betreten der Bühne schlagartig seine Kraft, der Schwur, es beim nächsten Mal besser anzupacken, verflog im anschließenden Übe-Alltag.
Genau an diesem Punkt setzt das „Netzwerk Musikhochschulen“ an mit einem Dozenten-Workshop unter dem Thema „Optimal Üben“ unter der Leitung der australischen Barocktrompeterin Susan Williams.
Als Dozentin in Den Haag und Bremen hat sie sich unter anderem in ihrer Doktorarbeit mit dem Thema der Optimierung des Übeprozesses vor dem Hintergrund der neuesten Hirnforschungs- Ergebnisse beschäftigt. Über vier Wochenenden verteilt stellte sie den zwölf teilnehmenden Instrumental- und Gesangsdozenten aus verschiedenen Musikhochschulen in Deutschland und den Niederlanden ein ganzes Kompendium von Anregungen und Übungen vor, welche die zentrale Frage aller Musiker nach dem „richtigen Üben“ in das Zentrum rückt.
Durch die enge Verknüpfung von Theorie und Praxis wird im Kurs rasch nachvollziehbar, dass ganz verschiedene Faktoren entscheidend sind für einen nachhaltigen Übererfolg. So benötigt das Gehirn vor allem die Abwechslung beim Üben durch unterschiedliche Sinnesreizungen im 20-Minuten-Takt, wodurch die neuronalen Verbindungen optimal stimuliert und erweitert werden. Aber erst die konsequente Einfügung einer folgenden kurzen Pause kann die sonst übliche Fehlerhäufung verhindern, die unser Üben oft so anstrengend macht.
Wenn diese Maßnahme kombiniert wird mit einem offenen Selbstbild des Musikers, welches vor allem vom Vertrauen in die eigene Anstrengung geprägt ist, hat man den nächsten großen Schritt auf dem Weg zum optimalen Üben getan. Susan Williams betont im Workshop dabei immer wieder die wichtige Autonomie des Lernenden. Beginnt der Unterricht mit der Frage des Dozenten: „Mit welcher Fragestellung möchtest du dich heute beschäftigen?“, stelle ich die aktuellen Bedürfnisse des Studenten ganz in das Zentrum des Übens. Dies verstärkt wiederum die intrinsische Motivation, damit der Musiker den Lernprozess selbst in die Hand nimmt.
Damit während des Übens nicht immer wieder die altbekannten Fragen nach der optimierten Motorik oder das „Wie?“ der Klangerzeugung gelegt wird, betont Susan Williams die Bedeutung des „externen Fokus“: dieser richtet den Blick von Beginn an auf den gewünschten Klang und die musikalischen Intentionen. Erst wenn bewusst in den Mittelpunkt gestellt wird, welche Botschaft durch unser Musizieren erklingen soll, erhält der Körper die nötigen Signale, wie er das gewünschte Klangerlebnis auch realisieren kann. Susan Williams formuliert es so: „Die Klärung der musikalischen Intention beeinflusst die Spieltechnik“.
Der Workshop fordert auf diese Weise alle Dozenten mit ihrem durchaus schon reichhaltigen Übe-Repertoire neu heraus. Es gilt, Abstand zu gewinnen zu vielleicht liebgewordenen Übemethoden, die aber derart unbewusst ablaufen, dass die Konzertvorbereitung anschließend als unbefriedigend empfunden wird und jedes Flow-Erlebnis vereitelt.
Dies wiederum führt nicht selten zu einer regelrechte Bühnenangst, die unsere Übeerfolge ohnehin vergessen lässt. Je weiter wir aber den „externen Fokus“ auf die beabsichtigten musikalischen Ziele legen, umso weniger Zeit haben wir für die Nervosität in der Vorspielsituation: Der Musiker nimmt sich ein entscheidendes Stück aus dem Zentrum heraus, in das er sich vor lauter Kontrolle immer wieder hineinmanövriert.
Im Workshop gelingt es überzeugend, durch eine direkte praktische Umsetzung der neuen Übehaltung verblüffende musikalische Ergebnisse zu erzielen. Zusätzlich inspiriert durch Gastbeiträge der finnischen Spezialistin für kreative Improvisation, Erja Joukamo-Ampuja, sowie durch Gerda van Zelm, die die Feedback-Methode „Critical response process“ der niederländischen Tänzerin Liz Lerman vorstellt, werden gemeinsam Konzepte erarbeitet, in welcher Form diese Kursinhalte zukünftig an den Musikhochschulen für die Studenten aufbereitet werden kann. Dann dürfen wir hoffen, die Eingangsfrage neu formulieren zu können: „Hast du heute schon optimal geübt?“
Ulrich Menke, Teilnehmer von OPTIMAL Üben